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Sorgerecht ist die Entscheidungskompetenz der Eltern, Angelegenheiten des minderjährigen Kindes zu regeln. Es gibt zwei Hauptaspekte des Sorgerechts: die Personensorge und die Vermögenssorge.
Das Sorgerecht ist ein komplexes Rechtsgebiet, das sich auf das Wohl des Kindes konzentriert. Es kann sehr hilfreich sein, die rechtlichen Grundlagen zum gemeinsamen Sorgerecht zu kennen, bevor man unnötig um das Sorgerecht gerichtlich streitet und am Ende riskiert, Teilbereiche des gemeinsamen Sorgerechts zu verlieren. Wir bieten Beratung, Rechtsbeistand und Vertretung, um die besten Interessen von Eltern und Kindern zu schützen. Verschaffen Sie sich mithilfe unserer Wegweiser Klarheit über Ihre Rechte und Pflichten rund um das Sorgerecht für Ihr Kind:
| Wegweiser zum Sorgerecht
| Wegweiser zum Sorgerechtsverfahren
„Sorgen“ bedeutet, Entscheidungen in wesentlichen Angelegenheiten des Kindes zu treffen. Was das Sorgerecht der Eltern (elterliche Sorge) für ein minderjähriges Kind umfasst, bestimmt § 1626 BGB. Es beinhaltet das Recht und die Pflicht der gesetzlichen Eltern, für die Person des Kindes (Personensorge) und das Vermögen des Kindes (Vermögenssorge) zu sorgen (Elternverantwortung). Es geht also um die Entscheidungsbefugnisse der Eltern. Diese Befugnisse sind im gegenseitigen Einvernehmen zum Wohl des Kindes auszuüben.
Es ist wichtig zu beachten, dass das Sorgerecht nicht mit dem Umgangsrecht verwechselt wird. Das Umgangsrecht bezieht sich auf das Recht und die Pflicht des nicht sorgeberechtigten Elternteils, Kontakt mit dem Kind zu haben. Dies kann persönliche Besuche, aber auch telefonische, schriftliche oder Kontakte über soziale Medien umfassen. Das Sorgerecht betrifft die Entscheidungsbefugnisse, d.h. das Mitspracherecht mitsorgeberechtigter Eltern in Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung für das Kind.
(1) Die Eltern haben die Pflicht und das Recht, für das minderjährige Kind zu sorgen (elterliche Sorge). Die elterliche Sorge umfasst die Sorge für die Person des Kindes (Personensorge) und das Vermögen des Kindes (Vermögenssorge).
(2) Bei der Pflege und Erziehung berücksichtigen die Eltern die wachsende Fähigkeit und das wachsende Bedürfnis des Kindes zu selbständigem verantwortungsbewusstem Handeln. Sie besprechen mit dem Kind, soweit es nach dessen Entwicklungsstand angezeigt ist, Fragen der elterlichen Sorge und streben Einvernehmen an.
(3) Zum Wohl des Kindes gehört in der Regel der Umgang mit beiden Elternteilen. Gleiches gilt für den Umgang mit anderen Personen, zu denen das Kind Bindungen besitzt, wenn ihre Aufrechterhaltung für seine Entwicklung förderlich ist.
Anmerkung:
In § 1626 BGB geht um die Entscheidungsbefugnisse der Eltern, die Angelegenheiten des Kindes betreffen. Das elterliche Sorgerecht kann in Teilbereiche untergliedert werden. Die Personensorge lässt sich weiter auffächern in die Teilbereiche Aufenthaltsbestimmungsrecht, Gesundheitsfürsorge, gesetzliche Vertretung des Kindes.
Die Aufsplitterung der Personensorge in Teilbereiche ist wichtig, da u.a. § 1671 BGB bestimmt, dass wegen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes als mildes Eingriffsmittel Teil-Übertragungen infrage kommen.
Die Befugnisse des § 1626 BGB sind im gegenseitigen Einvernehmen zum Wohl des Kindes auszuüben. Erst wenn ein erforderliches Einvernehmen der Eltern nicht hergestellt werden kann, ist eine gerichtliche Entscheidung veranlasst.
Wann ist ein Einvernehmen der Eltern erforderlich?
Bevor Gerichte in Kindschaftssachen eine Entscheidung treffen, ist festzustellen, ob eine staatliche Entscheidung grundsätzlich erforderlich ist. Dies ist erst der Fall, wenn eine Entscheidung in einer Angelegenheit des Kindes betroffen ist, die einer gemeinsamen Entscheidung der Eltern bedarf und die Eltern sich nicht einigen können.
Eltern, die bei der Geburt des Kindes miteinander verheiratet sind, steht das Sorgerecht und die Sorgepflicht per Gesetz gemeinsam zu (§ 1626a Ziff. 2 BGB).
Sind die Eltern nicht miteinander verheiratet, hat jedenfalls die Mutter das alleinige Sorgerecht (§ 1626a Abs.3 BGB). Die genetische Abstammung ist kein Kriterium für die gesetzliche Vaterschaft. Jedoch knüpft das Sorgerecht an die gesetzliche Elternschaft an. Erst wenn ein Vater eines der gesetzlichen Kriterien nach § 1592 Ziff. 1 bis 3 BGB erfüllt, ist er auch gesetzlicher Vater im Sinne des Sorgerechts nach § 1626 BGB.
Wege zum gemeinsamen Sorgerecht unverheirateter Eltern:
Bei gemeinsamer elterlicher Sorge getrennt lebender Eltern gibt es Angelegenheiten mit alleiniger Entscheidungsbefugnis und Angelegenheiten, über die die Eltern nur gemeinsam entscheiden dürfen. Angelegenheiten, die erhebliche Bedeutung (= verbunden mit schwer abzuändernden Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes) haben, unterliegen der gemeinsamen Entscheidungsbefugnis (§ 1627 BGB). Dies gilt auch nach Trennung der Eltern (§ 1687 Abs.1 S.1 BGB).
Alleinige Entscheidungsbefugnis
in Angelegenheiten des täglichen Lebens
Gemeinsame Entscheidungsbefugnis
in Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung
(1) S.1 (…)
S.2: Der Elternteil, bei dem sich das Kind mit Einwilligung des anderen Elternteils oder auf Grund einer gerichtlichen Entscheidung gewöhnlich aufhält, hat die Befugnis zur alleinigen Entscheidung in Angelegenheiten des täglichen Lebens. Entscheidungen in Angelegenheiten des täglichen Lebens sind in der Regel solche, die häufig vorkommen und die keine schwer abzuändernden Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes haben.
S.3: Solange sich das Kind mit Einwilligung dieses Elternteils oder auf Grund einer gerichtlichen Entscheidung bei dem anderen Elternteil aufhält, hat dieser die Befugnis zur alleinigen Entscheidung in Angelegenheiten der tatsächlichen Betreuung.
S.4: § 1629 Abs. 1 Satz 4 und § 1684 Abs. 2 Satz 1 gelten entsprechend.
(2) Das Familiengericht kann die Befugnisse nach Absatz 1 Satz 2 und 4 einschränken oder ausschließen, wenn dies zum Wohl des Kindes erforderlich ist.
In Angelegenheiten der tatsächlichen Betreuung entscheidet der umgangsberechtigte Elternteil, solange sich das Kind zur Ausübung des Umgangs bei ihm aufhält. Nach üblicher gerichtlicher Einschätzung (vgl. Heiß, Familienrecht, 3. Aufl., § 3 Rn. 49 f.) gehören folgende Entscheidungen zu den “alltäglichen” Angelegenheiten, die nicht von beiden Eltern gemeinsam getroffen werden müssen:
Führen diese Entscheidungen zu Kosten, die Mehrbedarf oder Sonderbedarf des Kindes darstellen, kann den anderen Elternteil die Pflicht zur anteiligen Kostenübernahme treffen, obwohl er nicht seine Zustimmung zu der Maßnahme erteilt hat. Wenn etwa die Mutter für das bei ihr lebende Kind entscheidet, dass das Kind Nachhilfeunterricht benötigt (= Angelegenheit des täglichen Lebens), hat sich an diesen Kosten der Vater u.U. zu beteiligen, auch wenn er nicht gefragt wurde (Kostenbeteiligung bei Vorfinanzierung der Kosten durch einen Elternteil).
OLG Karlsruhe, Beschluss vom 29.05.2007 – 17 WF 83/07
Wer entscheidet über die Urlaubsreise mit dem Kind?
Zum Thema:
Die Parteien streiten um die elterliche Sorge für den am (…) 2006 geborenen Sohn (X). Die Parteien haben am (…) 2003 geheiratet, seit (…) 2006 leben sie, bis Ende (…) 2006 zeitweise innerhalb der Ehewohnung, getrennt. (X) lebt bei der Mutter. Zwischen den Parteien ist weiter ein Umgangsverfahren auf Antrag des Vaters anhängig. Mit Beschluss vom 13.03.2007 hat das Familiengericht Heidelberg durch einstweilige Anordnung einen betreuten Umgang des Vaters mit dem Kind angeordnet (31 F 18/07). Mit dem Sorgerechtsantrag hat die Mutter Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung des Inhalts gestellt, dass ihr die Entscheidung über Urlaubsreisen mit & in ihrem Beisein allein übertragen werden soll. Diese Regelung sei erforderlich, nachdem der Vater entgegen seiner zuerst erteilten Zustimmung eine Reise der Mutter mit dem Kind im November 2006 grundlos nicht gestattet habe. Dagegen habe er -unstreitig- im Sommer 2006 einer Reise der Mutter mit dem Kind nach D. zugestimmt. Da die Mutter mit ihrem an Krebs erkrankten Vater noch möglichst viel Zeit mit Urlaubsreisen verbringen wolle, die wegen des wechselnden Krankheitsverlaufs nur kurzfristig gebucht werden könnten, sei ihr gemäß § 1628 BGB die Entscheidungsbefugnis hinsichtlich der Urlaubsreisen zu übertragen. (…)
Aus den Entscheidungsgründen:
(Zitat) “Die von der Mutter gewünschte Übertragung der Entscheidungsbefugnis für diesen Bereich ist jedoch in diesem Umfang nicht erforderlich. Denn eine Regelung nach § 1628 BGB setzt voraus, dass es sich bei der streitigen Sachfrage um eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung handelt. Nur hinsichtlich dieser Fragen ist gemäß § 1687 BGB ein Konsens zwischen den sorgeberechtigten Elternteilen erforderlich. Nicht jede Urlaubsreise erfüllt jedoch dieses Merkmal. Zwar wird vertreten, dass Reisen kleinerer Kinder in Länder eines ihnen nicht vertrauten Kulturkreises Angelegenheiten von wesentlicher Bedeutung darstellen (OLG Köln a.a.O. m.w.N.), doch ist dem in dieser Allgemeinheit nicht zu folgen. Maßgeblich ist die Situation im geplanten Urlaubsgebiet, ebenso die persönlichen Verhältnisse der Familie (vgl. Senat, B. v. 23.12.2004, 16 UF 156/04: Urlaubsreise eines 11-jährigen mit dem Vater nach China ist keine Angelegenheit von wesentlicher Bedeutung, nachdem die Familie mit dem chinesischen Kulturkreis vertraut ist). So gibt es auch außereuropäische Urlaubsziele, die nach Ansicht des Senats ohne Zustimmung des anderen Elternteils besucht werden können. Danach sind die bisher von der Mutter mit dem Kind durchgeführten Reisen nach D. und die Do. unter dem Hintergrund fehlender Reisewarnungen für diese Gebiete, der gebuchten Hotels und der klimatischen Verhältnisse nicht als Angelegenheiten von wesentlicher Bedeutung anzusehen mit der Folge, dass eine Zustimmung des Vaters zu derartigen Reisen entbehrlich ist.”
OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 21.07.2016 – 5 UF 2016/16
Urlaubsreise mit Kind in die Türkei bei politischen Unruhen im Sommer 2016
Sachverhalt: “Die Kindesmutter beabsichtigt, vom […] 07.2016 bis….08.2016 mit ihrem 8-jährigen Sohn eine Urlaubsreise in die Türkei durchzuführen. Es handelt sich um einen Badeurlaub, der einen Flug von Frankfurt nach Antalya, den Transfer vom Flughafen Antalya zum Hotel in X, den dortigen Hotelaufenthalt bis […] 08.2016, den Rücktransfer zum Flughafen Antalya und den Rückflug von Antalya nach Frankfurt am Main umfasst. Die Kindesmutter hat diese Reise im Januar 2016 gebucht. Die Kindeseltern sind geschieden und haben das gemeinsame Sorgerecht für das Kind. Im Mai 2016 hat sie den Kindesvater um Zustimmung zu der beabsichtigten Reise gebeten. Dieser hat die Zustimmung versagt und dies damit begründet, dass er eine Türkeireise vor dem Hintergrund der politischen Lage und einer eventuellen Terrorgefahr zu gefährlich für das Kind halte. Die Kindesmutter hat beim Amtsgericht Offenbach mit Schriftsatz ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 29.06.2016, der am 01.07.2016 beim Amtsgericht einging, ein Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Antrag eingeleitet, die Zustimmung des Kindesvaters zu der Reise zu ersetzen . Dem ist der Kindesvater entgegen getreten. Er hält die Reise im Hinblick auf die bestehende Terrorgefahr für zu gefährlich und ist der Ansicht, die Kindesmutter hätte diese Reise wegen der zwischenzeitlichen Anschläge in Istanbul längst stornieren können und müssen. Auch wenn die Anschläge nicht in der Baderegion stattfanden, seien die Gefahren derzeit nicht abschätzbar. So könne es etwa zu Anschlägen am Flughafen Antalya oder während des Transfers vom Flughafen zum Hotel kommen. Das Amtsgericht Offenbach hat nach Durchführung eines Anhörungstermins mit Beschluss vom 14.07.2016 im Wege der einstweiligen Anordnung der Kindesmutter die Befugnis übertragen, über die Durchführung der Türkeireise mit dem 8-jährigen Sohn alleine zu entscheiden (§ 1628 BGB). Die geplante Urlaubsreise stelle angesichts der im Raume stehenden Möglichkeit von terroristischen Anschlägen keine alltägliche Angelegenheit, sondern eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung dar, weshalb es der Übertragung der Entscheidungsbefugnis bedürfe, um die Reise durchführen zu können. Die Entscheidungsbefugnis sei der Mutter zu übertragen, da dies dem Wohl des Kindes am besten entspreche. Wie die Anhörung des Kindes gezeigt habe, freue sich A auf den Urlaub, da er noch nie einen richtigen Badeurlaub gemacht habe. Er habe auch keine Angst vor der Urlaubsreise. Ohne die Übertragung der Entscheidungsbefugnis auf die Mutter sei davon auszugehen, dass keine Urlaubsreise durchgeführt werden könne oder die Mutter lediglich in ein Hotel umbuchen könne, dass deutlich weniger kindgerechte Angebote biete als die gebuchte Reise. Im Übrigen sei der Vater auch nicht bereit gewesen, einen finanziellen Beitrag dazu zu leisten, dass A in einer eventuell weniger gefährdeten Region mit gleichem Komfortstandard Urlaub machen könne. Zudem habe er sich bereits mit Freunden, die ebenfalls mit ihren Familien in der dortigen Region Urlaub machen, am Urlaubsort verabredet. Da nur eine entfernte Gefahr bestehe, würden die Nachteile, die eine Nichtdurchführung der Urlaubsreise für A mit sich brächten, diejenigen überwiegen, die bei Durchführung der Reise drohen. Hiergegen wendet sich der Kindesvater mit seiner Beschwerde. Er macht geltend, dass sich durch die Ereignisse, die nach der Beschlussfassung in der Türkei stattgefunden haben, die Gefährdung für das Kind durch eine solche Urlaubsreise noch konkreter geworden sei. Im Hinblick darauf, dass Gefahr für Leib und Leben des Kindes bestehe, sei es geboten, die Reise zu verwehren. Die Probleme, die eine Umbuchung mit sich bringen, seien nicht ihm anzulasten. Die Mutter sei erst im Mai wegen der bereits von ihr im Januar gebuchten Reise an ihn herangetreten. Es fehle ihm auch nicht an der Bereitschaft, einen finanziellen Beitrag zu den mit einer Umbuchung verbundenen Mehrkosten zu leisten, ihm würden allerdings die finanziellen Mittel hierzu fehlen. Es sei nicht hinzunehmen, dass das Kind vorsätzlich einer solchen Gefahr ausgesetzt wird, zumal es auf dem Reisemarkt eine Vielzahl von Alternativen gebe.
Die Kindesmutter verteidigt den angefochtenen Beschluss. Es gebe keine Sicherheitswarnung des Auswärtigen Amtes hinsichtlich Reisen in die Ferienregion von X. Daran habe sich auch durch den Putschversuch nichts geändert. Die Reise bringe das Kind nicht in die gefährdeten Regionen. Die abstrakten Gefahren durch die geplante Reise seien nicht höher als bei anderen Reisezielen. Die Kindesmutter sei bei Buchung der Reise davon ausgegangen, dass es der Zustimmung des Kindesvaters nicht bedürfe. Bei der dann im Mai nachgesuchten Zustimmung sei es nur darum gegangen, dass der Kindesvater einen Vordruck der Bundespolizei unterzeichnet, die dem Grenzschutz die Ausreisekontrolle erleichtere. Eine ausdrückliche Verweigerung der Zustimmung sei ihr erst am 27.06.2016 zugegangen. Der Senat hat zur Frage einer Aussetzung der Wirksamkeit rechtliches Gehör gewährt.”
Anmerkung: Die vom Vater nach § 55 Abs.1 FamFG eigelegte Beschwerde auf Aussetzung der Wirksamkeit der ursprünglich zu Gunsten der Mutter erlassenen einstweiligen Anordnung hatte Erfolg. Damit ist der Fall u.a. ein Beispiel für eines der möglichen Rechtmittel (§ 57 FamFG) gegen eine einstweilige Anordnung in Sorgerechtssachen (§ 57 S.2 Ziff.1 FamFG). Zu einer Angelegenheit von erheblicher Bedeutung gehören auch Reisen in Krisengebiete (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 29.5.2007 – 16 WF 83/07: Osten der Ukraine; Palandt/ Götz, BGB, 75. Aufl. 2016, § 1628 Rn. 7). Die zentrale Frage ist, nach welchen Kriterien das geplante Reisezielgebiet als Krisengebiet eingestuft wird. Entscheidender Maßstab war bislang eine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes. Eine solche Reisewarnung lag der Entscheidung des OLG Frankfurt a. M. nicht zu Grunde. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Rechtsprechung zu Auslandsreisen angesichts der weltweit gestiegenen Gefahr terroristischer Angriffe und Unruhen entwickeln wird.
Die Eltern haben die elterliche Sorge in eigener Verantwortung und in gegenseitigem Einvernehmen zum Wohl des Kindes auszuüben. Bei Meinungsverschiedenheiten müssen sie versuchen, sich zu einigen.
(1) Leben Eltern, denen die elterliche Sorge gemeinsam zusteht, nicht nur vorübergehend getrennt, so ist bei Entscheidungen in Angelegenheiten, deren Regelung für das Kind von erheblicher Bedeutung ist, ihr gegenseitiges Einvernehmen erforderlich.
In Angelegenheiten, die nicht häufig vorkommen und deren Entscheidung nur schwer wieder rückgängig gemacht werden können und von „erheblicher Bedeutung“ für das Wohl des Kindes sind, besteht grundsätzlich gemeinsame Entscheidungsbefugnis.
Hier müssen die Eltern versuchen, sich bei Meinungsverschiedenheiten zu einigen (§ 1627 S.2 BGB). Gelingt das nicht, ist im ersten Zugriff an eine gerichtliche Übertragung der Entscheidungsbefugnis für den Einzelfall zu denken.
(1) Die Personensorge umfasst insbesondere die Pflicht und das Recht, das Kind zu pflegen, zu erziehen, zu beaufsichtigen und seinen Aufenthalt zu bestimmen.
(2) Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.
(3) Das Familiengericht hat die Eltern auf Antrag bei der Ausübung der Personensorge in geeigneten Fällen zu unterstützen.
Möchten Sie wegen Trennung vom Partner mit Ihren Kindern in eine andere Wohnung umziehen, kann es zum Streit darüber kommen, wo das Kind zu verbleiben hat: in der Wohnung der Mutter oder in der neuen Wohnung des Vaters? Zu klären ist, wo das Kind in Zukunft seinen gewöhnlichen Aufenthalt haben wird. Es geht um das Aufenthaltsbestimmungsrecht. Sind beide Eltern sorgeberechtigt, kann kein Elternteil über den gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes allein bestimmen.
OLG Brandenburg, Beschluss vom 09.02.2022 – 13 UF 156/21
Schulwahl und Aufenthaltsbestimmungsrecht
Orientierungssatz: Ein Elternteil kann im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 1628 BGB die Entscheidungsbefugnis über die Schulwahl auch dann erhalten, wenn damit eine Vorentscheidung über den künftigen Lebensmittelpunkt eines Kindes getroffen wird.
Anmerkung: Die Frage des gewöhnlichen Aufenthalts ist eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung für das Kind. Bei gemeinsamem Sorgerecht haben beide Eltern einvernehmlich zu entscheiden. An dieser Stelle taucht immer wieder die Frage auf: Welche Konsequenzen treten auf, wenn dem Wegzug des Kindes mit dem anderen Elternteil ins Ausland widersprochen wird? Der BGH hat dazu eine differenzierende Sichtweise. Zum einen kann jeder Elternteil frei entscheiden, wo er nach der Trennung leben möchte. Andererseits sind dabei Aspekte des Kindeswohls zu beachten. Geschieht das nicht, wird dem wegziehenden Elternteil womöglich die Erziehungseignung abgesprochen werden.
Die materiell-rechtlichen Regelungen des Sorgerechts sind ihrer Anzahl nach relativ überschaubar. Der Gesetzgeber hat – auch in diesem Bereich – bewusst möglichst abstrakt-generell geregelt, um Spielräume zu schaffen, möglichst alle Fallkonstellationen abzudecken. Uns begegnen im Wesentlichen §§ 1628, 1666, 1671 BGB, jeweils im Lichte von § 1697a BGB (Kindeswohl).
RiAG Patrick Hecken, Dillingen a.d. Donau, Zitat: “So verwundert es aber nicht, dass uns auch nach langjähriger Tätigkeit im Familienrecht immer noch Fälle begegnen, die man so noch nie „auf dem Tisch“ hatte und zu denen es im Einzelfall auch noch keine etablierte Rechtsprechung gibt. Kaum ein Rechtsgebiet ist in tatsächlicher Hinsicht so mannigfaltig und ausfüllungsbedürftig.“
Gesetzestext:
Können sich die Eltern in einer einzelnen Angelegenheit oder in einer bestimmten Art von Angelegenheiten der elterlichen Sorge, deren Regelung für das Kind von erheblicher Bedeutung ist, nicht einigen, so kann das Familiengericht auf Antrag eines Elternteils die Entscheidung einem Elternteil übertragen. Die Übertragung kann mit Beschränkungen oder mit Auflagen verbunden werden.
Anmerkung:
Das Kammergericht Berlin (Beschluss vom 24.08.2022 – 16 UF 64/22) stellt klar, dass eine Entscheidung nach § 1628 BGB nicht in Betracht komme, wenn keine konkret situativ beschränkte Einzelsituation vorläge. Dies sei nur dann der Fall, wenn eine Entscheidung konkret anstehe und eine Einigung der Eltern misslinge – dies ist auch unabhängig davon, ob an die Einzelfallentscheidung zwingend Folgeentscheidungen anknüpfen. Gehet es um eine Grundsatzentscheidung, für es aktuell keinen konkreten Anlass gibt, ist ein Verfahren nach 1671 BGB anzustreben.
| Musterantrag: Übertragung der alleinigen Entscheidungsbefugnis
OLG Oldenburg, Beschluss vom 24.05.2018 – 13 W 10/18
Fotos eines Kindes auf einer kommerziellen Zwecke dienenden Internetseite
Anmerkung: Dürfen Bilder von Kindern ohne Zustimmung das Sorgeberechtigen im Internet veröffentlicht werden? Nein, sagt das OLG Oldenburg. Zur Begründung wird nicht nur auf § 22 KunstUrhG hingewiesen, der Bildveröffentlichungen nur mit Einwilligung des Abgebildeten erlaubt. Weiter erklärt das Gericht, die Bildveröffentlichung zu einer Angelegenheit von „erheblicher Bedeutung“ für das Kind (§ 1628 BGB).
OLG Hamm, Urteil vom 29.09.2015 – 26 U 1/15
Einwilligung der Eltern bei medizinischer Behandlung des Kindes
Anmerkung: Eine Operation bei einem minderjährigen Kind bedarf grundsätzlich der Zustimmung beider sorgeberechtigter Eltern. Erscheint nur ein Elternteil mit dem Kind beim Arzt, darf dieser abhängig von der Schwere des Eingriffs unter Umständen ausnahmsweise darauf vertrauen, dass auch der abwesende Elternteil in den ärztlichen Eingriff eingewilligt hat. Erscheint eine Einigung nicht möglich, kann die (Allein-)Entscheidungskompetenz per Gerichtsbeschluss für einzelne Angelegenheiten und für den konkreten Einzelfall auf einen Elternteil übertragen werden (§ 1628 BGB). Wie üblich sind die Kriterien des Kindeswohls Maßstab für die gerichtliche (Einzelfall-)Entscheidung (§ 1697a BGB). Nach § 1628 BGB kann das Gericht sich über den Willen eines (mit-)entscheidungsbefugten Elternteils hinwegsetzen, indem es die alleinige Entscheidungsbefugnis für die einzelne Angelegenheit punktuell auf einen Elternteil überträgt. Doch muss für eine solche gerichtliche Entscheidung eine Angelegenheit des Kindes von „erheblicher Bedeutung“ betreffen. Hat die gerichtliche Streitentscheidung keine „erhebliche Bedeutung“ für das Kind im Sinne des § 1628 S.1 BGB bzw. § 1678 Abs.1 S.1 BGB, kann das Gericht keine Entscheidung über den Elternstreit treffen. Denn einer der Eltern hat in diesem Fall die alleinige Entscheidungsbefugnis in „Fragen des täglichen Lebens“.
AG Dillingen, Beschluss vom 11.08.2023 – 3 F 226/23
Recht zur Namensgebung
Zum Thema:
Die verheirateten Eltern trennten sich im siebten Schwangerschaftsmonat. Die (erstmals werdende) Kindsmutter zog aus, brachte das Kind in Abwesenheit des Vaters zur Welt und gab dem Mädchen den ersten Vornamen „Freedom“.
Der Kindsvater begehrte nach Kenntniserlangung im Wege eines Verfahrens nach § 1628 BGB, ihm das Recht zur Einbenennung des Kindes allein zu übertragen. Der gewählte Vorname sei mit ihm nicht abgesprochen, man hätte sich in der Zeit der Schwangerschaft bereits auf einen anderen Mädchenvornamen geeinigt. Er sehe für seine Tochter, deren Nachname nicht aus dem amerikanischen Sprachraum stamme, die Gefahr von Hänseleien/Benachteiligung durch andere Kinder. Die Kindsmutter war zu einem Kompromiss im Rahmen der mündlichen Verhandlung nicht zu bewegen. Der Vorname „Freedom“ sei – aufgrund ihrer Historie mit dem Kindsvater und der endlich erfolgten Trennung, die für sie und das Kind einen „Neustart“ darstelle „alternativlos“. Den Namen als zweiten Vornamen zu verwenden, genüge nicht.
Entscheidung:
Das AG – FamG – wies das Recht zur Namensgebung allein dem Kindsvater zu.
Aus den Entscheidungsgründen:
Während das Gesetz für die Frage des Nachnamens eines Kindes sogar gleich mehrere Regelungen in den §§ 1616 – 1618 BGB bereithält, ist eine vergleichbare Regelung für die Vergabe des Vornamens nicht vorhanden. Insoweit muss das Gericht auf die allgemeine Regel des § 1628 BGB zurückgreifen. Die Mutter bestand kategorisch auf den ersten Vornamen „Freedom“; alles andere „sei für sie ein Weltuntergang “. Der Vater setzte sich mit der Frage der Benennung fundiert und dezidiert und ergebnisoffen auseinander. Weder bestand er konkret auf einem einzigen Vornamen, noch lehnte er die Option ab, den Vornamen „Freedom“ als zweiten oder dritten Vornamen zu wählen. Seine Einwände waren durchweg geprägt von Sorge um das Wohl des Kindes. Die Einwendungen der Kindsmutter, die aus ihrer Haltung nicht – auch nicht geringfügig – auslenkbar war, fußten allesamt nur auf Motiven, die sie selbst betreffen; eine Analyse des von ihr vehement gewünschten Namens aus der Perspektive des Kindes vermochte sie auch auf mehrfache Nachfragen nicht vorzunehmen. Vielmehr nahm sie einen „so und nicht anders“ Standpunkt ein, ohne für sachliche Argumente offen zu bleiben. Ihr ist der Blick auf das Wohl des Kindes bei der Frage der Namenswahl augenscheinlich durch nicht in der Sache liegende Gründe und ihre Vergangenheit mit dem Kindsvater verstellt.
Beschwerdeverfahren:
Auf die Beschwerde der Kindsmutter hin, fand am OLG – Familiensenat – Termin zur mündlichen Verhandlung statt, in deren Rahmen die Eltern sich auf einen (schönen) Vornamen für das Kind doch noch einigen konnten.
Fazit:
Dieses etwas kuriose, vorangestellte Beispiel soll dreierlei verdeutlichen:
Sonstige Personen (außer den Eltern) können Entscheidungsbefugnisse aus dem Aufenthalt des Kindes bei diesen Personen ableiten. Siehe dazu §§ 1687a ff. BGB.
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