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Wer eine möglichst komplikationslose, d.h. einvernehmliche Scheidung anstrebt, sollte alle Streitpotentiale mit einvernehmlichen Regelungen in den Griff bekommen. Mittel und Möglichkeiten zur vertraglichen Gestaltung der Scheidung und ihrer Folgesachen sind vielseitig. Hierbei besteht weitgehend Vertragsfreiheit. Grundsätzlich kann alles Gegenstand einer Scheidungsfolgenvereinbarung sein.
| Scheiungsfolgenvereinbarung – Optionen für eine einvernehmliche Scheidung
Keine Freiheit ist grenzenlos. So beschränken gesetzliche Verbote, Formvorschriften und richterliche Inhaltskontrollen die Gestaltungsfreiheit von Eheverträgen und Scheidungsfolgevereinbarungen, um dem “schwächeren” Vertragspartner ein Mindestmaß an Schutzrechten zu erhalten. In diesen geschützten Kernbereich darf nicht eingegriffen werden.
| Freiheiten und Grenzen der Vertragsgestaltung
Grundsätzlich unterliegt das Familienrecht der allgemeinen Vertragsfreiheit des Zivilrechts. Das bedeutet, dass grundsätzlich per Vertrag von den gesetzlichen Regelungen abgewichen werden darf und jeder sein Regelungskonzept nach individuellen Wünschen gestalten kann. Es gibt nur wenige speziell familienrechtliche Vorschriften, die Regelungsverbote enthalten. Im Übrigen ergeben sich Regelungsverbote (Grenzen der Vertragsfreiheit) aus dem 1. Buch des BGB (Allgemeiner Teil). Allgemeine Vorschriften zur Nichtigkeit von Verträgen wurden von der Rechtsprechung speziell für das Familienrecht ausgelegt, Prinzipien und Lehrsätzen weiterentwickelt und justiziabel gemacht. Problem ist nicht die Freiheit, sondern die Grenzen familienrechtlicher Gestaltungsfreiheit.
| MEHR
Verstößt ein Vertrag gegen ein gesetzliches Verbot, ist er nichtig (§ 134 BGB). Überscheitet eine Vereinbarung die Grenzen der Vertragsfreiheit, wird sie in der Regel als nichtig betrachtet. Dies wird vor allem bei Vereinbarungen relevant, die einen (teilweisen) Unterhaltsverzicht beinhalten.
Bedeutsam ist hier vor allem Nichtigkeit wegen § 138 BGB (Sittenwidriges Rechtsgeschäft) im Kleid der Kernbereichslehre.
Erwähnenswert ist die Nichtigkeit wegen Anfechtung der Vereinbarung. Diese kommt in der familienrechtlichen Praxis häufig vor, wenn ein Vertrag auf falschen oder unvollständigen Auskünfte zum Einkommen oder Vermögen basieren.
Ein Vertrag kann allein deshalb nichtig sein, weil gesetzliche Formvorschriften nicht eingehalten werden (§125 BGB). Die Nichtigkeitsgründe sind hier nicht vollständig aufgezählt.
Wegen § 139 BGB (Teilnichtigkeit führt in der Regel zur Vollnichtigkeit) kann einem das gesamte Vertragswerk “um die Ohren fliegen“, wenn bereits bei einer Vertragsklausel oder einer familienrechtlichen Angelegenheit die Grenzen der Vertragsfreiheit missachtet oder fahrlässig überschritten wurde.
Sofern eine familienrechtliche Vereinbarung die Inhaltskontrolle übersteht und nicht als “nichtig” zu qualifizieren ist, ist weiter danach zu fragen, ob sich die Umtände nach Abschluss der Vereinbarung derart verändert haben, dass ein Festhalten an dem ursprünglichen Inhalt der Vereinbarung unzumutbar erscheint. Dann ist der Weg offen für eine mögliche Vertragsanpassung. Dies nennt man “Ausübungskontrolle”
| MEHR
Der Schutzzweck einer familienrechtlichen Vorschrift kann nicht durch vertragliche Vereinbarung beliebig unterlaufen werden. So die Kernaussage der Kernbereichslehre. Familienrechtliche Verträge müssen der gerichtlichen Wirksamkeitskontrolle standhalten. Hierbei unterscheidet man zwischen
Das Gericht muss sich für eine Wirksamkeitskontrolle durch einen entsprechenden Sachvortrag veranlasst sehen (sog.Veranlassungsprinzip). Oder es wird ein Zwischenfeststellungsverfahren zur Feststellung der Wirksamkeit einer Vereinbarung beantragt.
| MEHR
Wegen der existenziellen Bedeutung stehen Unterhaltsansprüche nur begrenzt für Unterhaltsvereinbarungen zur Disposition. In der Praxis kommen neben dem gegenseitigen Unterhaltsverzicht insbesondere zeitliche und betragsmäßige Einschränkungen vor. Die gesetzlichen Beschränkungen für Unterhaltsvereinbarungen lassen dies in aller Regel nur beim nachehelichen Unterhalt zu.
Leben die Ehegatten im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft, können sie nicht mehr in jeder Hinsicht frei über ihr eigenen Vermögensgegenstände verfügen. § 1365 BGB stellt ein Veräußerungsverbot für Verfügungen über das gesamte Vermögenauf: mehr dazu > hier. Gehören Vermögensgegenstände zum Haushalt, kann der Ehegatte, dem der Haushaltsgegenstand gehört, nicht ohne Einwilligung des anderen Ehegatten verfügen (§ 1369 BGB).
“Ein Rechtsgeschäft, welcher der durch Gesetz vorgeschriebenen Form ermangelt, ist nichtig. Der Mangel der durch Rechtsgeschäft bestimmten Form hat im Zweifel gleichfalls Nichtigkeit zur Folge.”
Grundsätzlich können Unterhaltsverpflichtungen vertraglich und formfrei vereinbart werden. Doch gibt es Ausnahmen, d.h. gesetzliche Formvorschriften.
| MEHR
Wollen Ehegatten vom gesetzlichen Güterstand abweichende Regelungen treffen, d.h. einen anderen Güterstand als die Zugewinngemeinschaft wählen, so geht dies nur mit Hilfe eines Ehevertrag. Das Gesetz kennt zwei Varianten für einen ehevertraglich vereinbarten Güterstand:
a) die Gütertrennung und
b) die Gütergemeinschaft.
Mit Ehevertrag kann vor – aber auch nach – Eingehung der Ehe der (aktuelle) Güterstand aufgehoben oder geändert werden.
Eheverträge müssen nach § 1410 BGB bei gleichzeitiger Anwesenheit beider Ehegatten zur Niederschrift eines Notars geschlossen werden (Formzwang).
Erst ab dem Zeitpunkt, ab dem eine Zugewinnausgleichforderung entsteht (§§ 1384, 1385 BGB: d.h. im Regelfall also ab Rechtshängigkeit eines Scheidungsverfahrens oder ab vorzeitiger ehevertraglicher (d.h. noarieller) Beendigung der Zugewinngemeinschaft), kann eine Vereinbarung über die bis dahin entstandene Zugewinnausgleichsforderung abgeschlossen werden.
Jede Vereinbarung, die eine Verfügung über eine Immobilie zum Gegenstand hat, bedarf zumindest der notariellen Beurkundung (§ 311 b BGB). In der familienrechtlichen Praxis kommt es häufig vor, dass zum Ausgleich gegenläufiger Ausgleichsansprüche Zahlungsmodalitäten getroffen werden. Dabei spielt immer wieder das Thema der einvernehmlichen Übertragung einer Immobilie zur Erfüllung der Ausgleichsforderung eine Rolle.
Dabei stellt sich die Frage, ob die Immobilienübertragung durch gerichtliche Protokollierung vor dem Familiengericht erfolgen kann, die eine notarielle Beurkundung ersetzt (§ 127a BGB). Vorteil dabei ist, man spart sich die anfallenden Notarkosten für eine notarielle Beurkundung der Immobilienübertragung spart.
In der täglichen Praxis wehren sich die Familiengerichte gegen eine gerichtliche Protokollierung von Grundstücksgeschäften, weil sie nicht in die Rolle von Notaren gedrängt werden wollen und (Amts-)Haftungsrisiken vermeiden wollen.
Anmerkung: Der BGH erachtet die gerichtliche Protokollierung einer Immobilienübertragung zwar für möglich, jedoch unter einschränkenden Voraussetzungen. In der Praxis kommt eine gerichtlich protokollierte Immobilienübertragung sehr selten vor, denn die meisten Richter schrecken davor zurück. Wegen höherer Fachkompetenz der Notare in diesem Bereich ist das mehr als verständlich.
Im Familienrecht herrscht Vertragsfreiheit. Damit kann jede Beziehung und Partnerschaft sich seinen eigenen Rechtsrahmen gestalten und dabei von gesetzlichen Vorschriften abweichen. Doch viele gesetzlichen Vorschriften wollen den wirtschaftlich schwächeren Partner schützen und auch den Staat vor möglicher Inanspruchnahme von Sozialleistungen. Deshalb kann die wirtschaftlich schwächere Vertragspartei nicht vollständig auf seine gesetzlichen Schutzvorschriften verzichten. Mit anderen Worten: Ein Eingriff in den Kernbereich gesetzlicher Schutzvorschriften kann mit einer familienrechtlichen Vereinbarung nicht wirksam erfolgen. Dieses Thema wird in der Rechtsprechung unter dem Begriff “Kernbereichslehre” behandelt. Ein Notar, der Ihre Vereinbarung beurkundet, wird Sie auf die Kernbereichslehre aufmerksam machen. Er wird Sie in seiner notariellen Vertragsurkunde darauf hinweisen, dass evtl. Gefahr besteht, dass Ihre Vereinbarung unwirksam ist. Der Notar wird Sie nicht beraten, welche Vertragsänderungen sinnvoll und angezeigt sind. Notare dürfen nicht beraten und sind gesetzlich zur Neutralität verpflichtet.
Praxistipp:
Gerichtliche Verfahren zur Wirksamkeitskontrolle sind kosten- und zeitintensiv und damit sehr belastend. Scheidungsverfahren können dadurch über mehrere Jahre blockiert sein und zusätzlich über mehrere Instanzen geführt werden. Wir empfehlen Ihnen, bereits im Entstehungsprozess einer Vereinbarung einen erfahrenen Fachanwalt für Familienrecht mit der Vertragsgestaltung zu beauftragen.
| MEHR
BGH, Urteil vom 11.02.2004 – XII ZR 265/02
Kernbereichslehre
Anmerkung: Die Entscheidung des BGH aus dem Jahr 2004 ist die erste und ausführliche Entscheidung zur Entwicklung der sog. Kernbereichslehre. Sie ist eine Entwicklung der höchstrichterlichen Rechtsprechung, die sich in der Rechtsfolge auf § 138 Abs. 1 BGB ( “Inhaltskontrolle“) und des § 242 BGB ( “Ausübungskontrolle“) stützt. Die freie Gestaltung von Ehe- und Scheidungsfolgen durch Vertrag endet da, wo der von Art. 2 Abs. 1; 3 Abs. 2; 6 Abs. 1 GG geschützte Kernbereich der Ehe verletzt würde, insbesondere nämlich das Recht und die Pflicht der Eheleute, gleichberechtigt miteinander umzugehen und füreinander einzustehen (” eheliche Solidarität “). Zwar geben weder das Grundgesetz noch die einfachen Gesetze einen Mindestgehalt an Scheidungsfolgen vor, weshalb auch ein völliger Verzicht auf die einfachgesetzlichen Scheidungsfolgen möglich sein kann. Je näher eine einfachgesetzliche Scheidungsfolge jedoch dem Kernbereich des Art. 6 Abs. 1 GG steht, desto schwerer müssen die Gründe wiegen, die einen Verzicht auf die Scheidungsfolge rechtfertigen sollen (OLG Hamm, Beschl. v. 04.04.2017 – 11 UF 122/16, FamRZ 2017, 1568). Bei der Anwendung eines Ehevertrags ist daher in jedem Einzelfall zu prüfen, ob die aus der jeweiligen Ehe voraussichtlich entstehenden oder bereits entstandenen Nachteile in verfassungsrechtlich unbedenklichem Maße auf die beiden Eheleute verteilt und ggf. ausgeglichen werden. Das Prüfverfahren nach der Kernbereichslehre wird von vier Grundsätzen beherrscht:
BGH, Urteil vom 28.11.2007 – XII ZR 132/05
zur Rangabstufung und Eingriffsmöglichkeiten in den Kernbereich der nachehelichen Unterhaltsansprüche
Anmerkung: Der BGH stellt hier ab Rn 20 seiner Entscheidung dar, welche Rangabstufungen beim Eingriff in die gesetzlichen Unterhaltsansprüche des Ehegatten gelten und ab wann von einem sittenwidrigen Eingriff nach § 138 Abs.1 BGB auszugehen ist und wann eine Berufung auf die ehevertragliche Vereinbarung als rechtsmißbräuchlich (§ 242 BGB) erscheint. Der Entscheidung lag eine Vereinbarung zum nachehelichen Krankenunterhalt (§ 1572 BGB) und zum Versorgungsausgleich.
Im Kernbereich ist in erster Linie der Betreuungsunterhalt verortet (Beispiel ). Mit Entscheidung vom 31.10.2012 erklärt der BGH: Zwar sei der Betreuungsunterhalt einer Disposition der Parteien am wenigsten zugänglich, weil er im Interesse der gemeinsamen Kinder gewährt werde, das aber schließe eine vertragliche Modifikation des Anspruchs – „bis hin zu dessen gänzlichen Ausschluss“ nicht schlechthin aus. Erstmals nennt der BGH mit Beschluss vom 31.10.2012 – XII ZR 129/10 den Ausschluss des Betreuungsunterhalts als eine mögliche gestalterische Option. Davon war im Ausgangsurteil vom 28.11.2007 – XII ZR 132/05 nicht die Rede, jetzt aber schon und hat gleichzeitig aber auch die Maßstäbe neu justiert, bei denen der gestalterische Spielraum begrenzt ist. Weiter hat der BGH im Bereich des nachehelichen Unterhalts für die jeweiligen Unterhaltstatbestände Rangabstufungen vorgenommen, wonach die einzelnen Unterhaltsansprüche näher oder weiter weg vom Kernbereich der Indisponibilität und Beschneidung durch Eheverträge zu sehen sind. Lehrreich und ausführlich geht der BGH in seiner Entscheidung vom 11.02.2004 – XII ZR 265/02 ab Seite 18ff. auf die Kernbereiche und die Rangabstufungen ein.
Aufstockungsunterhalt und Unterhalt wegen Arbeitslosigkeit und (§ 1573 Abs. 1, Abs. 2 und § 1578 Abs. 1 BGB) werden als Unterhaltsansprüche am Rande des Kernbereichs bezeichnet (z. B. OLG Karlsruhe, Urteil vom 15.07.2004 – 16 UF 238/03 im: NJW 2004, 3431 fv). Zum Ausschluss des nachehelichen Unterhalts wegen Krankheit: BGH, Urteil vom 28.03.2007 – XII ZR 130/04 , Rn 20.
Auch der Versorgungsausgleich steht als vorweggenommener Altersunterhalt einer vertraglichen Gestaltung nur begrenzt offen (vgl. BGH, Beschluss vom 29.01.2 014 – XII ZB 303/13 , Rn 19; BGH, Urt. v. 21.11.2012 – XII ZR 48/11 , DRsp-Nr. 2013/754). Mit Entscheidung des BGH vom 29.01.2014 – XII ZB 303/13 wird die Wirksamkeitskontrolle anhand eines vollständigen Ausschlusses des Versorgungsausgleichs nochmals präzisiert.
der gesetzliche Güterstand der Zugewinngemeinschaft inkl. des damit verbundenen Zugewinnausgleichs (vgl. BGH, Urteil vom 28.03.2007 – XII ZR 130/04, Rn 17).
OLG Karlsruhe, Beschluss vom 31.03.2021 – 5 UF 125/20
Wirtschaftliche und soziale Imparität:
Gesamtwürdigung aller im Vertrag enthaltenen Regelungen
Anmerkung:
Zur Gesamtwürdigung des Vertrags als sittenwidrig kommt das Gericht unter Darstellung der Einzelumstände, der Vereinbarung zum Versorgungsausgleich, Güterrecht und zum nachehelichen Unterhalt. Diese zeigten das einseitige Interesse des Ehemannes an der Regelung. Dessen Position war wirtschaftlich und sozial gravierend stärker, als die der Ehefrau. Somit standen sich die Ehegatten beim Vertragsschluss nicht als „gleich starke Vertragspartner“ gegenüber standen (Imparität).Im Hinblick darauf, dass die Ehefrau insbesondere als Immigrantin in wirtschaftlicher und persönlicher Hinsicht vollständig von ihrem Ehemann abhängig war, gilt dies auch, wenn sie in erst nach der Heirat geschlossenen Verträgen „aus der Position einer verheirateten Ehefrau agierte.
BGH, Urteil vom 31. Oktober 2012 – XII ZR 129/10
Feststellung der Sittenwidrigkeit
a) Ein Ehevertrag kann sich in einer Gesamtwürdigung nur dann als sittenwidrig und daher als insgesamt nichtig erweisen, wenn konkrete Feststellungen zu einer unterlegenen Verhandlungsposition des benachteiligten Ehegatten getroffen worden sind. Allein aus der Unausgewogenheit des Vertragsinhalts ergibt sich die Sittenwidrigkeit des gesamten Ehevertrages regelmäßig noch nicht.
BGH, Beschluss vom 20.03.2019 – XII ZB 310/18
Nichtigkeit von Eheveträgen nach Gesamtwürdigung
Aus den Entscheidungdgründen:
(Zitat, Rn 35) “Selbst wenn die ehevertraglichen Einzelregelungen zu den Scheidungsfolgen bei isolierter Betrachtungsweise den Vorwurf der Sittenwidrigkeit jeweils für sich genommen nicht zu rechtfertigen vermögen, kann sich ein Ehevertrag nach ständiger Rechtsprechung des Senats im Rahmen einer Gesamtwürdigung als insgesamt sittenwidrig erweisen, wenn das objektive Zusammenwirken aller in dem Vertrag enthaltenen Regelungen erkennbar auf die einseitige Benachteiligung eines Ehegatten abzielt (vgl. Senatsbeschlüsse vom 17. Januar 2018 XII ZB 20/17 FamRZ 2018, 577 Rn. 16 und vom 15. März 2017 XII ZB 109/16 FamRZ 2017, 884 Rn. 38; Senatsurteile vom 31. Oktober 2012 XII ZR 129/10 FamRZ 2013, 195 Rn. 22 und vom 21. November 2012 XII ZR 48/11 FamRZ 2013, 269 Rn. 26).”
Anmerkung:
Soll zu Lasten eines Ehegatten per Vereinbarung ein gesetzlich vorgesehenes Recht beschränkt werden, das zum Kernbereich des familienrechtlichen Regelsystems zählt, muss ein solcher Vertrag mit Blick auf die Kriterien der Sittenwidrigkeit nach § 138 Abs.2 BGB genauer unter die Lupe genommen werden. Wie dabei der Tatrichter im Rahmen der Inhaltskontrolle vorzugehen hat und welche Kriterien zu beachten sind, erklärt der BGH in seiner Entscheidung vom 11.02.2004 – XII ZR 265/02 , ab Seite 23 e.E. ausführlich.
Nach der Kernbereichslehre ist ein Nichtigkeitsgrund gegeben, wenn mit der Vereinbarung eine evident einseitige und durch die individuelle Gestaltung der ehelichen Lebensverhältnisse nicht gerechtfertigte Lastenverteilung entstünde, die hinzunehmen für den belasteten Ehegatten – bei angemessener Berücksichtigung der Belange des anderen Ehegatten und seines Vertrauens in die Geltung der getroffenen Abrede – unzumutbar erscheint (BGH, Urteil vom 2. Februar 2011 – XII ZR 11/09 m.w.N.; OLG Celle , Beschluss vom 05.03.2021 – 17 UF 172/20 ). Jede Vereinbarung, die einseitig zu Lasten eines Vertragspartners von den gesetzlichen Regeln bzw. Rechten abweicht, steht unter dem Verdacht ein erhebliches Ungleichgewicht in der Rechte- und Pflichtenverteilung zwischen den Ehegatten zu erzeugen. Daraus kann sich ein “auffälliges Missverhältnis ” (§ 138 Abs.2 BGB) ergeben, dass zur Nichtigkeit des (Gesamt-)Vertrags wegen Sittenwidrigkeit führt. Je intensiver mit dem Vertrag in den Kernbereich gesetzlicher (Schutz-)Rechte eingegriffen wird, desto näher gerät der Vertrag in die Gefahrenzone des § 138 Abs.1 BGB. Fällt eine familienrechtliche Vereinbarung durch die Wirksamkeitskontrolle, ist die Vereinbarung wegen § 138 BGB nichtig.
Nach seinem Wortlaut verlangt § 138 BGB “auffälliges Missverhältnisses“. Der BGH, Beschluss vom 29.01.2014 – XII ZB 303/13 (Rn 17), transformiert dieses Kriterium für Eheverträge mit folgenden Worten:
(Zitat) “Im Rahmen der Wirksamkeitskontrolle hat der Tatrichter dabei zunächst zu prüfen, ob die Vereinbarung schon im Zeitpunkt ihres Zustandekommens offenkundig zu einer derart einseitigen Lastenverteilung für den Scheidungsfall führt, dass ihr und zwar losgelöst von der künftigen Entwicklung der Ehegatten und ihrer Lebensverhältnisse wegen Verstoßes gegen die guten Sitten die Anerkennung der Rechtsordnung ganz oder teilweise mit der Folge zu versagen ist, dass an ihre Stelle die gesetzlichen Regelungen treten (§ 138 Abs. 1 BGB). Erforderlich ist dabei eine Gesamtwürdigung, die auf die individuellen Verhältnisse beim Vertragsschluss abstellt, insbesondere also auf die Einkommens- und Vermögensverhältnisse, den geplanten oder bereits verwirklichten Zuschnitt der Ehe sowie auf die Auswirkungen auf die Ehegatten und auf die Kinder”.
Die Grenzen der Vertragsfreiheit werden erreicht, wenn der Vertrag nicht mehr Ausdruck einer gleichberechtigten Partnerschaft ist, sondern eine auf ungleichen Verhandlungspositionen basierende einseitige Dominanz eines Ehepartner und damit die Unterlegenheit des anderen Ehegatten widerspiegelt. Je mehr im Ehevertrag gesetzliche Rechte abbedungen oder zusätzliche Pflichten übernommen würden, desto mehr kann sich dieser Effekt einseitiger Benachteiligung verstärken. Die Grenze zur Unzumutbarkeit ist auf jeden Fall dann überschritten, wenn durch den Rechtsausschluss der Betroffene der öffentlichen Sozialhilfe anheimzufallen droht.
Wann sind subjektie Kriterien der Sittenwidrigkeit entbehrlich?
Das Gesetz kennt keinen unverzichtbaren Mindestgehalt an Scheidungsfolgen. Ein Verzicht auf sämtliche familienrechtlichen Schutzmechanismen ( Globalversicht) ist damit grundsätzlich möglich. Die Unwirksamkeit eines Ehevertrages ist daher nur dann festzustellen, wenn neben der einseitigen Benachteiligung eines Ehepartners auch eine gestörte subjektive Vertragsparität zu dessen Nachteil festgestellt werden kann. Lediglich dann, wenn ein Verzicht auf Versorgungsausgleich oder Unterhalt angesichts der angestrebten Erwerbsbiographie des verzichtenden Ehepartners faktisch wie ein Vertrag zu Lasten Dritter (wie etwa der gemeinsamen Kinder oder eines Sozialleistungsträgers) wirkt, mag das subjektive Erfordernis der Disparität bei Vertragsschluss entbehrlich sein.
So ist z.B. ein Ausschluss des Versorgungsausgleichs nach § 138 Abs.1 I BGB schon für sich genommen unwirksam, wenn er dazu führt, dass ein Ehegatte aufgrund des bereits beim Vertragsschluss geplanten Zuschnitts der Ehe über keine hinreichende Alterssicherung verfügt und dieses Ergebnis mit dem Gebot ehelicher Solidarität unvereinbar erscheint (BGH, Beschluss vom 27.05.2020 – XII ZB 447/19; OLG Celle , Beschluss vom 09.03.2021 – 17 UF 172/20).
Sittenwidrig ist ein Ausschluss des Versorgungsausgleichs nach dem Willen des Gesetzgebers insbesondere dann, wenn ein Ehegatte infolge des Verzichts im Alter und bei Erwerbsminderung auf Leistungen der Grundsicherung angewiesen ist (vgl. MüKoBGB/ Weber § 8 VersAusglG Rn. 18 mwN).
Eine Sittenwidrigkeit – ohne gestörte subjektive Vertragsparität – liegt auch dann nahe, wenn sich ein Ehegatte, wie schon bei Vertragsschluss geplant oder verwirklicht, der Betreuung der gemeinsamen Kinder gewidmet und deshalb auf eine versorgungsbegründende Erwerbstätigkeit in der Ehe – weitgehend – verzichtet hat. In diesem Verzicht liegt ein Nachteil, den der Versorgungsausgleich gerade auf beide Ehegatten gleichmäßig verteilen will und der ohne Kompensation nicht einem Ehegatten allein angelastet werden kann, wenn die Ehe scheitert (vgl. BGH, Beschluss vom 29.01.2014 – XII ZB 303/13, Rn 20).
Was sind subjektive Kriterien der Sittenwidrigkeit?
Der Wortlaut des § 138 Abs.2 BGB spricht folgende subjektive Kriterien der gestörten Vertragsparität an: Ausbeutung der Zwangslage , Unerfahrenheit , Mangel an Urteilsvermögen und erheblicher Willensschwäche.
Für Eheverträge erklärt der BGH, Beschluss vom 29.01.2014 – XII ZB 303/13, Rn 17 u. Rn 39) zu den subjektiven Kriterien
(Zitat) “ Subjektiv sind die von den Ehegatten mit der Abrede verfolgten Zwecke sowie die sonstigen Beweggründe zu berücksichtigen, die den begünstigten Ehegatten zu seinem Verlangen nach der ehevertraglichen Gestaltung veranlasst und den benachteiligten Ehegatten bewogen haben, diesem Verlangen zu entsprechen (Senatsurteil BGHZ 158, 81, 100 f. = FamRZ 2004, 601, 606; vgl. zuletzt Senatsbeschluss vom 27. Februar 2013 XII ZB 90/11 FamRZ 2013, 770 Rn. 16 mwN) (…) Eine lediglich auf die Einseitigkeit der Lastenverteilung gegründete tatsächliche Vermutung für die subjektive Seite der Sittenwidrigkeit lässt sich bei familienrechtlichen Verträgen nicht aufstellen. Ein unausgewogener Vertragsinhalt mag zwar ein gewisses Indiz für eine unterlegene Verhandlungsposition des belasteten Ehegatten sein. Gleichwohl wird das Verdikt der Sittenwidrigkeit in der Regel nicht gerechtfertigt sein, wenn außerhalb der Vertragsurkunde keine verstärkenden Umstände zu erkennen sind, die auf eine subjektive Imparität , insbesondere infolge der Ausnutzung einer Zwangslage, sozialer oder wirtschaftlicher Abhängigkeit oder intellektueller Unterlegenheit, hindeuten könnten (Senatsurteile vom 31. Oktober 2012 XII ZR 129/10 FamRZ 2013, 195 Rn. 24 und vom 21. November 2012 XII ZR 48/11 FamRZ 2013, 269 Rn. 27).”
Auf die subjektiven Kriterien der Sittenwidrigkeit eines objektiv einseitig belastenden Ehevertrages geht der BGH mit Beschluss vom 29.01.2014 – XII ZB 303/13 ab Rn 37 ff. nochmals ausführlich ein.
Beweislast für subjektive Kriterien der Sittenwidrigkeit
Ein subjektives Sittenwidrigkeitselement muss nachweislich festgestellt werden können. Allein die Behauptung, dass man sich bei Abschluss des Ehevertrages objektiv oder subjektiv in einer gegenüber dem anderen Ehepartner erheblich unterlegenen Verhandlungsposition befunden hätte, ireicht nicht aus. Das muss muss vom Gericht positiv festgestellt werden können. Die Beweislast liegt insoweit bei dem, der sich auf die Sittenwidrigkeit beruft. Eine Vermutungsregel, kraft derer von einer objektiv einseitigen Lastenverteilung im Ehevertrag auf das Vorhandensein der subjektiven Imparität geschlossen werden könnte, existiert im Familienrecht nicht (BGH FamRZ 2013, 195; BGH FamRZ 2009, 198). Allerdings gibt es Fälle der evidenten Sittenwidrigkeit, die eine Feststellung der subjektiven Sittenwirdigkeit entbehrlich machen.
BGH, Urteil vom 28.03.2007 – XII ZR 130/04
Kernbereich & Scheidungsfolgenrecht
(Zitat, Rn 14) “Die grundsätzl iche Disponibilität der Scheidungsfolgen darf indes nicht dazu führen, dass der Schutzzweck der gesetzlichen Regelungen durch vertragliche Vereinbarungen beliebig unterlaufen werden kann. Das wäre der Fall, wenn dadurch eine evident einseitige und durch die individuelle Gestaltung der ehelichen Lebensverhältnisse nicht gerechtfertigte Lastenverteilung entstünde, die hinzunehmen für den belasteten Ehegatten – bei angemessener Berücksichtigung der Belange des anderen Ehegatten und seines Vertrauens in die Geltung der getroffenen Abrede – bei verständiger Würdigung des Wesens der Ehe unzumutbar erscheint. Die Belastungen des einen Ehegatten werden dabei um so schwerer wiegen und die Belange des anderen Ehegatten um so genauerer Prüfung bedürfen, je unmittelbarer die vertragliche Abbedingung gesetzlicher Regelungen in den Kernbereich des Scheidungsfolgenrechts eingreift.”
Anmerkung:
Lt. Kernbereichslehre ist die Beschneidung eines gesetzlich vorgesehenen (Familien-)Rechts nicht sofort als sittenwidrig nach § 138 BGB einzustufen. Die Prüfung muss weiter gehen und zwar mit dem Blick darauf, wie tief die Vereinbarung in den Kernbereich familienrechtlicher (Schutz-)Vorschriften eingreift und ob die damit verbundenen Nachteile wiederum an anderer Stelle der Vereinbarung durch anderweitige Vorteile gemildert oder durch gewichtige Belange des begünstigten Ehegatten gerechtfertigt sind. Der vollständige Ausschluss des Versorgungsausgleichs kann auch bei einer Alleinverdienerehe der ehevertraglichen Wirksamkeitskontrolle standhalten, wenn die wirtschaftlich nachteiligen Folgen dieser Regelung für den belasteten Ehegatten durch die ihm gewährten Kompensationsleistungen (z.B. Finanzierung einer privaten Kapitalversicherung; Übertragung einer Immobilie) ausreichend abgemildert werden (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 09.03.2021 – 17 UF 172/20; BGH, Urteil vom 28.03.2007 – XII ZR 130/04, Rn 15). Dazu BGH, Beschluss vom 29.01.2014 – XII ZB 303/13, Rn 17: (Zitat)” Das Verdikt der Sittenwidrigkeit wird dabei regelmäßig nur in Betracht kommen, wenn durch den Vertrag Regelungen aus dem Kernbereich des gesetzlichen Scheidungsfolgenrechts ganz oder jedenfalls zu erheblichen Teilen abbedungen werden, ohne dass dieser Nachteil für den anderen Ehegatten durch anderweitige Vorteile gemildert oder durch die besonderen Verhältnisse der Ehegatten, den von ihnen angestrebten oder gelebten Ehetyp oder durch sonstige gewichtige Belange des begünstigten Ehegatten gerechtfertigt wird (vgl. Senatsurteil vom 28. März 2007 XII ZR 130/04 FamRZ 2007, 1310 Rn. 15 und Senatsbeschluss vom 18. März 2009 XII ZB 94/06 FamRZ 2009, 1041 Rn. 14).”
BGH, Beschluss vom 18.03.2009 – XII ZB 94/06
Subjektive Sittenwidrigkeit eines Ehevertrages – Schwangerschaft der Ehefrau bei Vertragsabschluss
Orientierungssatz:
Ein Ausschluss des Versorgungsausgleichs in einem entschädigungslosen Ehevertrag ist nach § 138 Abs. 1 BGB unwirksam, wenn die Ehefrau zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses schwanger ist und die Ehegatten damit wissentlich in Kauf nehmen, dass sie ihren Beruf bald aufgeben wird, um sich um ihr Kind zu kümmern auf absehbare Zeit keine Rentenansprüche (außer Kinderbetreuungszeiten) entstehen (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 9. Juli 2008 – XII ZR 6/07 – FamRZ 2008, 2011).
OLG Karlsruhe, Beschluss vom 12.12.2014 – 20 UF 7/14
zur Feststellung der subjektive Sittenwidrigkeit eines Ehevertrages
Aus den Entscheidungsgründen:
(Zitat, Rn 39 ff) „Aus dem objektiven Zusammenspiel einseitig belastender Regelungen (kann) nur dann auf die weiter erforderliche verwerfliche Gesinnung des begünstigten Ehegatten geschlossen werden …, wenn die Annahme gerechtfertigt ist, dass sich in dem unausgewogenen Vertragsinhalt eine auf ungleichen Verhandlungspositionen basierende einseitige Dominanz eines Ehegatten und damit eine Störung der subjektiven Vertragsparität widerspiegelt. Eine lediglich auf die Einseitigkeit der Lastenverteilung gegründete tatsächliche Vermutung für die subjektive Seite der Sittenwidrigkeit lässt sich bei familienrechtlichen Verträgen nicht aufstellen (…). Ein unausgewogener Vertragsinhalt mag zwar ein gewisses Indiz für eine unterlegene Verhandlungsposition des belasteten Ehegatten sein. Gleichwohl wird das Verdikt der Sittenwidrigkeit in der Regel nicht gerechtfertigt sein, wenn sonst außerhalb der Vertragsurkunde keine verstärkenden Umstände zu erkennen sind, die auf eine subjektive Imparität, insbesondere infolge der
hindeuten könnten“.
OLG Celle, Beschluss vom 09.03.2021 – 17 UF 172/20
Sittenwidrigkeit eines Ehevertrages
Leitsätze:
1. Eine Sittenwidrigkeit des Ausschlusses des Versorgungsaugsleichs liegt dann nahe, wenn sich ein Ehegatte, wie schon bei Vertragsschluss geplant oder verwirklicht, der Betreuung der gemeinsamen Kinder gewidmet und deshalb auf eine versorgungsbegründende Erwerbstätigkeit in der Ehe – weitgehend – verzichtet hat.
2. Die Begrenzung des Betreuungsunterhalts auf maximal 3 Jahre und 2.500 DM/monatlich kann zur Unwirksamkeit der gesamten Unterhalstvereinbarung führen.
Zum Sachverhalt:
In der Entscheidung des OLG Celle wird die Wirksamkeit des Ehevertrags durch mehrere Aspekte beeinflusst, die in den folgenden Punkten zusammengefasst werden:
Zusammengefasst untersucht das Gericht die Wirksamkeit des Ehevertrags hinsichtlich der gesetzlichen Regelungen, der Interessen beider Parteien sowie der Umstände unter denen der Vertrag abgeschlossen wurde, um die rechtlichen Folgen und die Gültigkeit der einzelnen Vertragsklauseln zu bestimmen.
Zu den Entscheidungsgründen:
Das OLG Celle hat den Ehevertrag aus folgenden Gründen für sittenwidrig gehalten:
Anmerkung:
Insgesamt wurde der Ehevertrag als sittenwidrig bezeichnet, weil er die Ehefrau in unzulässiger Weise benachteiligte und grundlegende rechtliche Prinzipien nicht einhielt, die für den Schutz beider Ehepartner in einer ehelichen Gemeinschaft von Bedeutung sind.
Das Gericht hatte über den Bestand ehevertraglicher Regelungen zu entscheiden und hat mit seinem Beschluss eine für den Praktiker taugliche, aktualisierte Prüfungsgrundlage mit Hinweisen auf die jüngste Rechtsprechung erstellt. Der Vertrag enthielt einen gegenseitigen Ausschluss des Zugewinnausgleichs mit Wahl der Gütertrennung, einen Ausschluss des Versorgungsausgleichs und eine einseitige, nur für die Ehefrau geltende Begrenzung und Befristung des nachehelichen Unterhalts, sowie die Vereinbarung einer salvatorischen Klausel. In seinen Ausführungen stellt das OLG wiederholend klar, dass die ehevertraglichen Regelungen zum Unterhalt, Zugewinn und Versorgungsausgleich der vertraglichen Disposition der Eheleute unterliegen und zeigt schulbuchmäßig die einzelnen Prüfungspunkte auf.
OLG Oldenburg, Beschluss vom 17.05.2017 – 3 W 21/17 (NL)
Sittenwidrigkeit wegen unangemessener Benachteiligung des finanziell unterlegenen Ehegatten
Kernaussage: Die in einem Ehevertrag enthaltenen Regelungen können in ihrer Gesamtschau eine einseitige Benachteiligung darstellen. Wenn sich in dem unausgewogenen Vertragsinhalt eine einseitige Dominanz eines Ehegatten widerspiegelt (subjektives Kriteium der Sittenwidrigkeit), die auf ungleichen Verhandlungspositionen basiert und wenn sich darin auch eine Störung der subjektiven Vertragsparität zeigt, dann kann aus dem objektiven Zusammenspiel einseitig belastender Regelungen auf die verwerfliche Gesinnung des begünstigten Ehegatten geschlossen werden.
BGH, Beschluss vom 17.1.2018 – XII ZB 20/17
Sittenwidrigkeit von Eheverträgen
Leitsatz:
Zu den objektiven und subjektiven Voraussetzungen der Sittenwidrigkeit eines Ehevertrags mit einem von der Ausweisung bedrohten Ausländer aufgrund einer Gesamtschau der zu den Scheidungsfolgen getroffenen Regelungen (Fortführung von Senatsurteil vom 22. November 2006 XII ZR 119/04 FamRZ 2007, 450 und von Senatsbeschluss vom 17. Mai 2006 XII ZB 250/03 FamRZ 2006, 1097).
Der Sachverhalt
betrifft ein Scheidungsverfahren zwischen einem Ehemann und einer Ehefrau, die am 7. Februar 1997 geheiratet haben. Aus der Ehe ist eine Tochter hervorgegangen, die im Jahr 2002 geboren wurde. Der Ehemann ist deutscher Staatsangehöriger, ausgebildeter Fernmeldemonteur und seit 1991 als Postbeamter tätig. Die Ehefrau stammt aus Bosnien, kam 1994 als Bürgerkriegsflüchtling nach Deutschland und hatte vor der Heirat keinen gesicherten Aufenthaltsstatus. Sie arbeitete in verschiedenen Berufen, unter anderem als Gebäudereinigerin und Verkäuferin, bevor sie nach der Geburt ihrer Tochter eine zweijährige Berufspause einlegte.
Das Scheidungsverfahren ist seit dem 16. April 2014 anhängig. Im Rahmen des Verfahrens hat die Ehefrau einen Stufenantrag zum Zugewinnausgleich gestellt und vom Ehemann Auskunft über sein End- und Trennungsvermögen gefordert. Das Amtsgericht hat die Ehe geschieden und den Versorgungsausgleich durchgeführt, den Stufenantrag der Ehefrau jedoch abgewiesen. Dagegen hat die Ehefrau Beschwerde eingelegt.
Das Oberlandesgericht hat die Entscheidung des Amtsgerichts aufgehoben und den Ehemann aufgefordert, Auskünfte zum Zugewinnausgleich zu erteilen. Der Ehemann und die Ehefrau streiten nun um die Wirksamkeit eines im Vorfeld ihrer Eheschließung am 21. Januar 1997 geschlossenen Ehevertrags, durch den Gütertrennung vereinbart und der Versorgungsausgleich ausgeschlossen wurde.
Zu den Entscheidungsgründen:
Die Vereinbarung der Gütertrennung war im vorliegenden Fall nicht wirksam. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden, dass die im Ehevertrag enthaltene Regelung zur Gütertrennung im Rahmen einer Gesamtwürdigung nicht den Anforderungen des § 138 Abs. 1 BGB genügt, der sittenwidrige Verträge behandelt.
Die Gründe hierfür sind:
Fazit:
Aufgrund dieser Gesichtspunkte kam der BGH zu dem Schluss, dass die Gütertrennungsvereinbarung im Ehevertrag nicht den gesetzlichen Anforderungen genügt und somit nicht wirksam ist. Somit gelten die Regeln des gesetzlichen Güterstandes der Zugewinngemeinschaft womit ein Zugewinnausgleichsanspruch und folglich ein Anspruch auf Vermögensauskunft besteht.
BGH, Beschluss vom 15.03.2017 – XII ZB 109/16
Sittenwidrigkeit des Ehevertrages in “Unternehmerehe”
Leitsatz:
Zu den objektiven und subjektiven Voraussetzungen der Sittenwidrigkeit eines Ehevertrags aufgrund einer Gesamtschau der zu den Scheidungsfolgen getroffenen Regelungen im Fall der sog. Unternehmerehe (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 29. Januar 2014 – XII ZB 303/13, FamRZ 2014, 629 und Senatsurteil vom 31. Oktober 2012 – XII ZR 129/10, FamRZ 2013, 195).
Zum Sachverhalt:
Der Bundesgerichtshof (BGH) setzte sich in diesem Fall mit der Wirksamkeit des Ehevertrags auseinander, weil dieser in seiner Gesamtschau zu einer objektiv unangemessenen Benachteiligung der Ehefrau führte.
Der Vertrag schloss bis auf den nachehelichen Unterhalt wegen Kinderbetreuung alle gesetzlichen Scheidungsfolgen aus und umfasste einen wechselseitigen Erb- und Pflichtteilsverzicht ohne eine vereinbarte Kompensation. Besondere Umstände, wie die Tatsache, dass der Ehemann beim Abschluss des Vertrags ein starkes Interesse hatte, da dieser mit einer Unternehmensumwandlung in Verbindung stand, und dass die Ehefrau zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses nicht erwerbstätig war, trugen zur Beurteilung der Sittenwidrigkeit bei.
Die soziale und wirtschaftliche Abhängigkeit der Ehefrau wurde ebenfalls als relevant angesehen, was zur Annahme einer subjektiven Imparität führte.
Ein Vertrag, der nicht sittenwidrig ist, kann dennoch im Wege der Ausübungskontrolle zu modifizieren sein. Auch wenn ein Ehevertrag nicht wegen Sittenwidrigkeit unwirksam ist, hat in einem zweiten Schritt die Ausübungskontrolle einzusetzen, die dazu führt, dass der Vertrag in seiner abgeschlossenen Form nicht Bestand hat.
Bei der vom BGH zusätzlich geforderten Ausübungskontrolle wird nicht mehr die Umstände zum Zeitpunkt des Ehevertragsabschlusses abgestellt, sondern es werden die Verhältnisse zum Zeitpunkt des Scheiterns der Lebensgemeinschaft betrachtet. Unter diesem Prüfungsblickwinkel wird im Rahmen der Ausübungskontrolle geprüft, inwieweit der durch den Ehevertrag Begünstigte, die ihm durch die Vereinbarung eingeräumte Rechtsmacht entgegen § 242 BGB missbraucht, wenn er sich auf die im Ehevertrag vorgesehene Regelung beruft.
Unter diesem Blickwinkel zum Zeitpunkt des Scheiterns der Lebensgemeinschaft muss eine einseitige Lastenverteilung festzustellen seien, die für den belasteten Ehegatten unter angemessener Berücksichtigung der Belange des anderen Ehegatten und dessen Vertrauen in die Geltung der getroffenen Vereinbarung sowie bei verständiger Würdigung des Wesens der Ehe unzumutbarerscheinen, sodass diejenige Rechtsfolge anzuordnen ist, die den berechtigten Belangenbeider Parteien Rechnung trägt.
Damit wird deutlich, dass im Ergebnis einer Ausübungskontrolle es nicht zu einer Nichtigkeit des Ehevertrages kommt, sondern vielmehr die im Ehevertrag getroffenen Regelungen an die veränderten Umstände, die sich zum Zeitpunkt des Scheiterns der Lebensgemeinschaft offenbaren, anzupassen ist. Mit anderen Worten: der Ehevertrag wird gerichtlich modifiziert bzw. für den Benachteiligten „entschärft“.
BGH, Beschluss vom 20.06.2018 – XII ZB 84/17
Ausübungskontrolle – Anpassung des Ehevertrages an veränderte Umstände
(Zitat, Rn 20) “Soweit die Regelungen eines Ehevertrags der Wirksamkeitskontrolle standhalten, muss der Richter im Rahmen einer Ausübungskontrolle prüfen, ob und inwieweit es einem Ehegatten nach Treu und Glauben unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB) verwehrt ist, sich auf eine ihn begünstigende Regelung zu berufen. Maßgeblich ist insoweit, ob sich im Zeitpunkt des Scheiterns der Ehe aus dem vereinbarten Ausschluss der Scheidungsfolge eine evident einseitige, unzumutbare Lastenverteilung ergibt (vgl. Senatsbeschlüsse vom 8. Oktober 2014 XII ZB 318/11 FamRZ 2014, 1978 Rn. 22 ff. und vom 17. Juli 2013 XII ZB 143/12 FamRZ 2013, 1543 Rn. 22; Senatsurteil vom 21. November 2012 XII ZR 48/11 FamRZ 2013, 269 Rn. 34 mwN). Das kommt insbesondere dann in Betracht, wenn die einvernehmliche (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 8. Oktober 2014 XII ZB 318/11 FamRZ 2014, 1978 Rn. 24) Gestaltung der ehelichen Lebensverhältnisse durch die beiden Eheleute von der ursprünglichen, dem Vertrag zugrundeliegenden Lebensplanung grundlegend abweicht und dadurch bei dem belasteten Ehegatten ehebedingte Nachteile entstanden sind, die durch den Ehevertrag nicht angemessen kompensiert werden. Weicht die tatsächliche Gestaltung der ehelichen Lebensverhältnisse von der ursprünglichen Lebensplanung ab, können auch die Grundsätze der Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) Anwendung finden (vgl. Senatsbeschluss vom 27. Februar 2013 XII ZB 90/11 FamRZ 2013, 770 Rn. 19). Dies wird insbesondere dann der Fall sein, wenn die abweichende Gestaltung der ehelichen Lebensverhältnisse nicht auf einer Entscheidung der Eheleute, sondern auf einer von beiden Beteiligten unbeeinflussten Veränderung von Umständen außerhalb von Ehe und Familie beruht (vgl. Sanders Statischer Vertrag und dynamische Vertragsbeziehung S. 287 ff.; Sanders FF 2013, 239, 242; Münch NJW 2015, 288, 289; vgl. auch Senatsurteil vom 25. Januar 2012 XII ZR 139/09 FamRZ 2012, 525 Rn. 39).”
(Zitat, Rn 22) “Nach ständiger Rechtsprechung folgt aus der grundsätzlichen Kernbereichsferne des Zugewinnausgleichs, dass sich eine Berufung auf eine wirksam vereinbarte Gütertrennung oder auf sonstige wirksame Modifikationen des gesetzlichen Güterstands nur unter engsten Voraussetzungen als rechtsmissbräuchlich erweisen wird (Senatsbeschluss vom 8. Oktober 2014 XII ZB 318/11 FamRZ 2014, 1978 Rn. 35; Senatsurteile vom 21. November 2012 XII ZR 48/11 FamRZ 2013, 269 Rn. 35 und vom 17. Oktober 2007 XII ZR 96/05 FamRZ 2008, 386 Rn. 33).”
BGH, Beschluss vom 08.10.2014 – XII ZB 318/11
Anpassung des Ehevertrages (Ausschluss des Versorgungsausgleichs)zum Ausgleich ehebedingter Nachteile
(Zitat, Rn 26) “Durch die richterliche Anpassung von Eheverträgen im Wege der Ausübungskontrolle sollen ehebedingte Nachteile ausgeglichen werden. Der Ehegatte kann daher durch die Anpassung des Ehevertrags nicht besser gestellt werden, als er ohne die Ehe und die mit der ehelichen Rollenverteilung einhergehenden Dispositionen über Art und Umfang seiner Erwerbstätigkeit stünde (vgl. Senatsbeschluss vom 27. Februar 2013 – XII ZB 90/11 – FamRZ 2013, 770 Rn. 22 und Senatsurteil vom 28. Februar 2007 – XII ZR 165/04 – FamRZ 2007, 974 Rn. 28). Die richterliche Ausübungskontrolle hat sich daher im Ausgangspunkt daran zu orientieren, welche Versorgungsanrechte der sich durch den Ausschluss des Versorgungsausgleichs benachteiligt sehende Ehegatte ohne die Ehe und die ehebedingte Rollenverteilung durch eigene Berufstätigkeit hätte erwerben können (vgl. Senatsbeschluss vom 27. Februar 2013 – XII ZB 90/11 – FamRZ 2013, 770 Rn. 22)”.
BFH, Urteil vom 1.9.2021 – II R 40/19,
Bedarfsabfindung keine steuerbare freigiebige Zuwendung
Anmerkung: In der Praxis werden oftmals im Zusammenhang mit einseitig belastenden Vereinbarungen (Ausschluss von Rechten im Kernbereich) zur Nachteils-Kompensation pauschale Ausgleichszahlungen vereinbart. Man versucht dem Verdikt der Sittenwidrigkeit und Ausübungskontrolle der Vereinbarung vorzubeugen. In solchen Fällen ist ein Augenmerk auf die steuerrechtliche Beurteilung sog. „freigiebiger Zuwendungen“ i.S.d. § 7 Abs.3 EStG (Schenkung unter Lebenden) zu richten.
Freibeträge: Je nach Gestaltung des Fälligkeitszeitpunkts gelten für die Besteuerung solcher Ausgleichszahlungen unterschiedliche Steuerfreibeträge (in der Ehe: 500.000 € ggü. Ehegatten mit Steuersatz; unter Verlobten und Ex-Ehegatten: 20.000 €; gegenüber Kindern 400.000 €). Auch gelten unterschiedliche Steuersätze für die Schenkungssteuer zwischen 7 und 50 Prozent. Oft kann es zur steueroptimierten Gestaltung von Vereinbarungen zwischen Ehegatten nach der Scheidung angezeigt sein, den Weg über eine Zuwendung an die Kinder zu gehen, um den Freibetrag in Höhe von 400.000 € zu nutzen. Es wird dringend angeraten, zu den steuerlichen Gestaltungsmöglichkeiten einen Steuerberater hinzuzuziehen. Es muss geprüft werden, ob ein unzulässiger Gestaltungsmissbrauch vorliegen könnte (vgl. BFH, Urteil vom 23.04.2023 – IX R 8/20).
Ausgleichszahlung zur Abfindung: Bei Ausgleichszahlungen ist nach der Zweiteilung des BFH ist zu unterscheiden zwischen „Pauschalabfindung“ (= steuerbar nach ErbstG) und einer „Bedarfsabfindung“ (= nicht steuerbar nach ErbstG).
Wenn einer der Beteiligten über die unterhaltsrelevanten Umstände, also insbesondere, wenn der Unterhaltspflichtige zu seinen Einkommensverhältnissen vorsätzlich falsche Angaben macht und diese bewusst zu niedrig angibt, kann ein darauf basierender Vergleich nach § 123 BGB wegen arglistiger Täuschung angefochten werden.
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Eine familienrechtliche Vereinbarung regelt meist mehrere Angelegenheiten zusammen. Ist eine Teilregelung von einem Nichtigkeitsgrund betroffen, stellt sich zugleich die Frage, ob die Teilnichtigkeit auf den gesamten Vertragsinhalt ausstrahlt und zur vollständigen Unwirksamkeit aller vertraglichen Regelungen führt. Eine Vermutung dafür folgt aus § 139 BGB.
BGH, Beschluss vom 29.01.2014 – XII ZB 303/13
Zur Teilnichtigkeit von Eheverträgen und § 139 BGB
(Zitat, Rn 50) “Dabei kommt es zunächst darauf an, ob und inwieweit ein enger Zusammenhang zwischen den einzelnen Vereinbarungen besteht und nach dem Willen der Parteien bestehen soll. Ob es sich bei gemeinsam beurkundeten Trennungs- und Scheidungsfolgenvereinbarungen aufgrund eines Einheitlichkeitswillens der Vertragsparteien um ein einheitliches Rechtsgeschäft handelt, ist durch Ermittlung und Auslegung des Parteiwillens festzustellen, wobei nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei gemeinsamer Aufnahme mehrerer Vereinbarungen in eine Urkunde eine tatsächliche Vermutung für einen Einheitlichkeitswillen besteht (vgl. BGHZ 157, 168, 173 f. = NVwZ 2005, 484, 485; BGHZ 54, 71, 72 = NJW 1970, 1414, 1415). Ist von einem einheitlichen Rechtsgeschäft auszugehen, muss nach den für die ergänzende Vertragsauslegung geltenden Grundsätzen weiter ermittelt werden, ob die beteiligten Eheleute die gleichen Vereinbarungen zu den Scheidungsfolgen auch getroffen hätten, wenn ihnen bewusst gewesen wäre, dass ein Verzicht auf Trennungsunterhalt oder eine ihm gleichstehende Beschränkung der Rechte auf Geltendmachung von Trennungsunterhalt für die Zukunft nicht wirksam vereinbart werden kann (vgl. OLG Brandenburg FamRZ 2003, 764, 765; Huhn RNotZ 2007, 177, 184). Dagegen könnte es unter Umständen sprechen, wenn der unwirksame Ausschluss von Trennungsunterhalt durch Leistungen ausgeglichen werden sollte, die dem berechtigten Ehegatten im Rahmen der Auseinandersetzung über die Scheidungsfolgen zugesagt worden sind (vgl. auch Langenfeld in Heiß/Born Unterhaltsrecht [Bearbeitungsstand: 2013] 15. Kap. Rn. 14).
OLG Frankfurt a.M., Urteil v. 20.07.2005 – 5 UF 75/04
Zur Teilnichtigkeit – Gesamtnichtigkeit von Eheverträgen
(Zitat): […] folgt der Senat jedoch der Auffassung, dass eine Nichtigkeit des Ausschlusses des Ehegattenunterhalts hier nicht die Gesamtnichtigkeit des Ehevertrags nach sich zieht, denn es ist anzunehmen, dass der Vertrag im Übrigen auch ohne den nichtigen Teil vorgenommen worden wäre (§ 139 BGB). Nach § 139 BGB bleibt bei Teilnichtigkeit eines Rechtsgeschäfts der von der Nichtigkeit nicht erfasste Teil bestehen, wenn dies dem hypothetischen Parteiwillen entspricht, wobei der Vertragsinhalt in eindeutig abgrenzbarer Weise in den nichtigen Teil und den von der Nichtigkeit nicht berührten Rest aufteilbar sein muss (BGH, NJW 2001, 817).
Anmerkung: Kommt man zu dem Ergebnis, dass Klauseln in einem Ehevertrag /Scheidungsfolgenvereinbarung zum Teil unwirksam – weil sittenwidrig – sind, bleibt zu prüfen, ob der Vertrag unter Ausnutzung einer unterlegenen Verhandlungsposition geschlossen wurde, mit der Folge, dass die Sittenwidrigkeit den gesamten Vertrag umfasst.
BGH, Beschluss vom 29.01.2014 – XII ZB 303/13, Rn 12
Veranlassungsprinzip: Keine generelle richterliche Kontrollverpflichtung
(Zitat) “Die richterliche Kontrolle, ob durch eine Vereinbarung über den Versorgungsausgleich eine evident einseitige und unzumutbare Lastenverteilung entsteht, hat der Tatrichter durchzuführen, wenn und soweit das Vorbringen der Beteiligten oder die Sachverhaltsumstände hierzu Veranlassung geben. Es besteht demgegenüber auch bei scheidungsnahen Vereinbarungen grundsätzlich keine Verpflichtung des Gerichts, bereits von Amts wegen umfassende Ermittlungen zu den wirtschaftlichen Folgen eines etwaigen Verzichts auf den Versorgungsausgleich durchzuführen (…)”
Anmerkung: Die Wirksamkeitskontrollen werden vom Gericht grundsätzlich nicht von Amts wegen durchgeführt. Diese sind erst ab einem entsprechenden Sachvortrag veranlasst. Das Gericht darf nicht eigenständig nach Unwirksamkeitsgründen forschen. Grundsätzlich ist eine Nichtigkeitsrüge erforderlich. Wer sich also auf die Sittenwidrigkeit eines familienrechtlichen Vertrages berufen möchte, hat dazu die maßgeblichen Kriterien substantiiert darzulegen und im Bestreitensfall Beweise zu liefern. Wenn keiner der Beteiligten die Wirksamkeit der Vereinbarung in Zweifel zieht, wird das Gericht i.d.R. keine Veranlassung zu einer weitergehenden Wirksamkeitskontrolle haben (Götsche in HK-VersAusglR, § 8 Rdnr. 58 und Hauß, FPR 2011, 26, 30).
OLG Brandenburg, Beschluss vom 23.03.2021 – 13 UF 197/20
Veranlassungsprinzip: Darlegung und Beweis von Unwirksamkeitsgründen
(Zitat) “Bei der Kontrolle eines vereinbarten Ausschlusses des Versorgungsausgleichs hat sich das Familiengericht zurückzuhalten und darf, um die Vertragsfreiheit der Eheleute zur Geltung kommen zu lassen, insbesondere nicht von sich aus nach Unwirksamkeitsgründen forschen. Der durch den Versorgungsausgleich vermeintlich Benachteiligte ist gehalten, von sich aus durch substantiierten Sachvortrag die Tatsachen mitzuteilen, aus denen sich solche Verdachtsmomente ergeben. Deshalb trägt der durch die Vereinbarung benachteiligte Ehegatte die Darlegungs- und Beweislast für die Sittenwidrigkeit der Vereinbarung (vgl. (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 14. Januar 2019 – 9 UF 209/18 –, Rn. 9 – 16, juris m.w.N.).”
Anmerkung: Nur wenn bekannte Sachverhaltsumstände den Verdacht einer unwirksamen Vereinbarung aufdrängen, ist das Gericht zur Wirksamkeitskontrolle aufgerufen. Der Tatrichter muss offenkundige (evidente) Anhaltspunkte für eine Unwirksamkeit erkennen, z.B. eine der typischen Unwirksamkeitsfallgruppen (Münch, FamRB 2010, 51, 55 f. und Wick, FuR 2010, 301; vgl. z.B. BGH, Senatsurteil vom 09.07.2008 – XII ZR 6/07) mit massivem Eingriff in den geschützten Kernbereich. Nur dann wird eine richterliche Inhaltskontrolle ohne ausdrückliche Nichtigkeitsrüge stattfinden.
BGH, Beschluss vom 20.03.2019 – XII ZB 310/18
Zwischenfeststellungsverfahren zur Wirksamkeit von Eheverträgen
(Zitat, Rn 18) “Zwar können Ehesachen nach § 126 Abs. 2 Satz 1 FamFG nur mit anderen Ehesachen verbunden werden, welche die gleiche Ehe betreffen. Die Möglichkeit, im Verbund Folgesachen geltend zu machen, bleibt jedoch nach § 126 Abs. 2 Satz 2 FamFG iVm § 137 FamFG unberührt. Dies schließt grundsätzlich die Befugnis ein, im Zusammenhang mit dem Scheidungsverfahren einen Zwischenfeststellungsantrag zu stellen, sofern die Voraussetzungen nach § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG iVm § 256 Abs. 2 ZPO dafür erfüllt sind. Das ist hier der Fall. Die Ehefrau hat im Scheidungsverbund im Wege des Stufenantrags einen Antrag auf Zugewinnausgleich geltend gemacht, dem der Ehemann die ehevertraglich vereinbarte Gütertrennung entgegenhält. Darüber hinaus ist im Scheidungsverbund von Amts wegen eine Entscheidung über den > Versorgungsausgleich zu treffen, dessen Durchführung nach den ehevertraglichen Bestimmungen ausgeschlossen ist. An einer wirksamen Vereinbarung der Gütertrennung und an einem wirksamen Ausschluss des Versorgungsausgleichs fehlt es, wenn – wie die Ehefrau festzustellen begehrt – der von den Beteiligten geschlossene Ehevertrag nichtig ist. Die geltend gemachte Nichtigkeit des Ehevertrags betrifft damit einerseits ein Rechtsverhältnis, das für die Entscheidungin den Folgesachen Versorgungsausgleich und Zugewinnausgleich vorgreiflich ist. Andererseits regeln die Entscheidungen zum Versorgungsausgleich und zum Güterrecht die Rechtsbeziehungen der Beteiligten im Hinblick auf den Ehevertrag nicht erschöpfend, weil dessen Wirksamkeit auch für etwaige Ansprüche auf nachehelichen Unterhalt von Bedeutung ist. Der Umstand, dass solche Unterhaltsansprüche im vorliegenden Scheidungsverfahren noch nicht als Folgesache geltend gemacht worden sind, hindert die Zulässigkeit der Zwischenfeststellungswiderklage insoweit nicht, weil nur durch die Überprüfung des Ehevertrags auf seine Gesamtnichtigkeit eine abschließende und einheitliche Befriedung der Beteiligten in dieser Streitfrage erreicht werden kann (vgl. Senatsurteil vom 12. Januar 2005 – XII ZR 238/03 – FamRZ 2005, 691).”
Anmerkung: Ein Antrag zur Wirksamkeitskontrolle einer familienrechtlichen Vereinbarung ist als Zwischenfeststellungsantrag gem. § 113 Abs. 1 S. 2 FamFG, § 256 Abs. 2 ZPO zulässig. Dies schließt grundsätzlich die Befugnis ein, im Zusammenhang mit dem Scheidungsverfahren einen Zwischenfeststellungsantrag zu stellen, sofern die Voraussetzungen nach § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG iVm § 256 Abs. 2 ZPO dafür erfüllt sind (vgl. OLG Brandenburg, Beschluss vom 23.03.2021 – 13 UF 197/20).
AG Kaufbeuren, Mitteilung vom 10.02.2022 (unser Az.: 25/20)
Über zulässigen Zwischenfeststellungsantrag wird nicht mit Teilbeschluss entschieden?
Anmerkung: Es gibt Dinge beim AG Kaufbeuren, die glaubt man kaum. Hier hat ein Richter anlässlich eines zulässigen Zwischenfeststellungsantrags zur umstrittenen Wirksamkeit eines Ehevertrages mit Ausschluss des Versorgungsausgleichs erklärt, dass er keine Zwischenfeststellung durchführt, d.h. keinen Teilbeschluss erlässt, sondern die Rechtsfrage am Ende klärt, wenn alle Folgesachen entscheidungsreif sind. Dieses gerichtliche Schreiben ist eine Frechheit, die uns noch nie untergekommen ist. Der Richter weigert sich, über einen zulässigen Antrag zu entscheiden. Uns fehlen die Worte. Obwohl ein Zwischenfeststellungsinteresse besteht, wird dieses schlicht übergangen. Die vom Gericht zitierten Fundstellen stützen die Ansicht des Gerichts nicht. Ein rechtliches Interesse an der Feststellung der Nichtigkeit eines Ehevertrages ist auch bei möglicher Erhebung einer Leistungsklage im Rahmen des Scheidungsverbundes dann anzuerkennen, wenn die Durchführung des Feststellungsprozesses unter dem Gesichtspunkt der Prozesswirtschaftlichkeit zu einer sachgemäßen Erledigung der Streitpunkte in der Sache führt (OLG Düsseldorf, Urteil vom 01. Juli 2004 – II-7 UF 227/03 –, juris). Unter normalen Umständen würden wir diesen Richter sofort wegen Befangenheit ablehnen. Doch die anderen Richter beim AG Kaufbeuren, in deren Zuständigkeit der Fall übergeben würde, sind keinen Deut besser.
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